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Prof. Dr. Gabriel Imthurn ist Leiter der Professur für Musikpädagogik im Jugendalter. Er koordiniert sowohl Lehrveranstaltungen und Weiterbildungen im Fach Musik als auch Projekte zur Unterrichtsforschung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Prof. Dr. Tibor Gyalog ist Co-Leiter Professur für Naturwissenschaftsdidaktik und ihren Disziplinen an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Die beiden Experten sind für die wissenschaftliche Begleitung der der Erlebnisgruppe «Universum der Stimme» verantwortlich.

In jeder Stimme steckt ein einzigartiges Universum

1. Ist jede Stimme einzigartig?

(GI): Jede Stimme besitzt ein einzigartiges Spektrum. Dies wird von gewissen Unternehmen beispielsweise zur Kund:innen-Identifikation am Telefon verwendet. Mich fasziniert an der Stimme, dass wir als Menschen sofort hören, wer es ist und ob es dieser Person gut geht, ob sie gut oder schlecht gelaunt ist. Daran sehen wir schon, dass jede Stimme einzigartige Klänge produziert. In einer Frequenz-Analyse entsteht ein Bild, das den Klangreichtum einer Stimme zeigt. Auch emotionale Komponenten, die ein Gefühl verursachen, wenn wir eine uns vertraute Stimme hören oder eine besonders schöne Singstimme, werden sichtbar. Unsere Stimme ist wie eine Signatur.

2. Ich nehme an, auch Deep-Fake-Audioaufnahmen haben eine solche Signatur? Gibt es Technologie, echte Signaturen von manipulierten zu unterscheiden?

(GI): Es wurden bereits Fälle bekannt, in denen eine Künstliche Intelligenz einem Menschen die Stimme geklaut hat.
(TG): Offenbar kann man die Signatur einer Stimme kopieren und auf einen anderen Text übertragen. Wenn man herausfinden möchte, ob etwas gefälscht wurde, wird die Aufnahme auf typische Fehler getestet, ähnlich wie bei Bildern. Dazu gehören beispielsweise Frequenzen, die in einer natürlichen Stimme nicht vorkommen oder unnatürlich schnelle Übergänge.

3. Herr Imthurn, Sie behaupten, alle können singen. Was ist für diese Fähigkeit erforderlich?

(GI): Zum Singen benötigen wir zwei Fertigkeiten. Unser Stimmapparat muss, wie jedes andere Organ trainiert werden. Unsere Ohren sind Sensoren, die kontrollieren, ob die Tonhöhe korrekt ist. Schliesslich braucht es ein musikalisches Vorstellungsvermögen. Damit ich ein Kinderlied singen kann, muss ich unser Tonsystem kennen und wissen, wie sich Töne anhören sollten. Leute, die glauben, nicht singen zu können, haben ein schlechtes Selbstwertgefühl bezüglich dem Singen und trainieren deshalb auch nicht.

4. Was macht professionelle Opernsänger:innen so speziell?

(GI): Hier kommen alle genannten Faktoren zusammen. Ein:e Opernsänger:in hat sehr viel Übung. Die Muskelarbeit der Atemtechnik sorgt dafür, dass die Stimme korrekt klingt, kontrolliert wird dies durch die geübten Ohren. Opernsänger:innen formen zudem die Luftwege, vom Rachenraum zur Mundhöhle bis hin zu den Stirnhöhlen, um die Klänge zu variieren. Wo immer sich Luft befindet, können sie sie mit den Stimmlippen zum Klingen bringen. Opernsänger:innen bündeln an einem bestimmten Punkt und einer bestimmten Frequenz viel Energie, um sich über das Orchester hinweg zu erheben.

5. Welche Rolle spielt die Lernumgebung beim Fortschritt der Schüler:innen im Singunterricht?

(GI): Singen in der Schule ist zunächst ein sozialer Akt, bei dem das gemeinsame Singen im Vordergrund steht, was laut Studien prosoziale Effekte mit sich bringt. Es macht die Menschen glücklicher. Egal, ob in der Schule oder in der Pfadi: das gemeinsame Singen weckt positive Gefühle. Zudem gibt es die individuelle Seite, bei der Überzeugung und etwas Training nötig sind, um selbstbewusst singen zu können.

6. Welche Faktoren sind entscheidend bei der Frage, ob wir eine Stimme als angenehm empfinden oder eben nicht?

(GI): Grundsätzlich ist dieses Empfinden individuell sehr verschieden. Nicht alle Menschen mögen dieselbe Stimmen. Wenn aber jemand heiser ist, hat die Stimme einen ungewohnten Bruch und klingt kläglich. Diese falschen Frequenzen verursachen die raue Klangqualität. Manche Stimmen haben von Natur eine gewisse Dissonanz, die ein Knarren oder eine besondere Spannung im Hals erzeugt.

7. Sind es auch diese Faktoren, die einen Mundartdialekt wie denjenigen von Bern oder Graubünden als sympathisch erscheinen lassen?

(GI): Hier gibt es einige spannende soziale Phänomene: zum Beispiel, dass sich Basler:innen und Zürcher:innen gegenseitig nicht gerne hören. Das hat tatsächlich auch mit den unterschiedlichen Stimmfrequenzen zu tun. Das sieht man auch an den Beispiele, die du erwähnst: Der Berner Dialekt kommt tiefer aus dem Kehlkopf, während die Bündner:innen den Ton eher weiter hinten und höher im Hals produzieren. Der tiefere Klang des Berndeutschen verströmt dann etwas Gemütlichkeit.

8. Was sind die klanglichen Unterschiede zwischen den Vokalen A und O?

(GI): An der Phänomena haben die Besucher:innen die Möglichkeit, ihr eigenes Klangspektrum zu sehen. Die menschliche Stimme erzeugt neben dem Ton, welchen wir bewusst wahrnehmen, noch zahlreiche Obertöne, die wir nicht bewusst wahrnehmen. Diese sind für die Unterscheidung der Vokale verantwortlich. Das "O" hat einige wenige energiereiche Obertöne im unteren Frequenzspektrum. Im Gegensatz dazu hat das "A" deutlich vielfältigere Obertöne, was zu einem ganz anderen Höreindruck führt. Je nachdem, wie klar diese Vokale sind, sieht man sie besser oder weniger gut in der Visualisierung. Wir wissen relativ viel über die Frequenzen von "A" und "O". Wir werden auch zeigen, dass man das Ohr immer noch leicht täuschen kann.

9. Du hast eine Stimmanalyse mit Klangspektren angesprochen: Könnt ihr beschreiben, wie Besucher:innen ihre eigene Stimme analysieren, visualisieren und mit anderen vergleichen können?

(GI): Man singt oder spricht in ein Mikrofon und erhält eine Art Landkarte der eigenen Stimme. Das ist eine Frequenzanalyse, bei der man die Obertöne der Stimme und damit die einzelnen Vokale und auch die Konsonanten sieht. Diese Karten lassen sich untereinander vergleichen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und wollen die Karten nicht nur mit Stimmen, sondern auch mit tönenden Gegenständen wie Orgelpfeifen und schwingendem Blech vergleichen.

(TG): Die Akustik beschreibt Schallwellen, ähnlich wie Wasserwellen. Diese Wellen können Hügel bilden, die nah beieinander oder weiter auseinander liegen. Und sie können sich schnell oder langsam ausbreiten, ganz wie beim Wasser. An der Phänomena übertragen wir diese Wellen, die von der Stimme kommen, auf andere Apparate, wie z.B. auf Lamellen, die sich dann bewegen, oder auf Lichtstrahlen, die herumtanzen. Das bedeutet, dass man mit der Stimme reale Objekte steuern kann. Man muss zuerst die eigene Stimme kennenlernen, um zu verstehen, was man eigentlich tut. Denn im Alltag erzeugen wir diese Stimmwellen komplett unbewusst. An der Phänomena lernen die Besucherinnen und Besucher, diese Wellen sichtbar zu machen und sie dann zu steuern.

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